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Nicht selbst zur Waffe werden

Als Korrespondent im „Informationskrieg“.

Von Friedrich Schmidt

Als Korrespondent in Russland muss man oft die Frage beantworten, ob sein Medium „unabhängig“ sei. Daraus spricht ein Misstrauen, das die russische Führung seit langem sät. Sie stellt „westliche Massenmedien“ als Instrumente der Gegner im geopolitischen Ringen mit dem Westen dar. Zudem misstrauen viele Russen schon den eigenen Medien. Dazu haben sie allen Grund. Unabhängige Journalisten hatten es im Land schon vor dem Überfall auf die Ukraine vom Frühjahr 2022 schwer. Danach machte eine fak­tische Militärzensur die Arbeit fast unmöglich, trieb zahlreiche Journalisten ins Exil. Maßgeblich sind ohnehin die vom Kreml kontrollierten Medien. Sie sind mit solchen, wie man sie in Deutschland kennt, nur äußerlich zu vergleichen. Ihnen geht es nicht darum, die Realität abzubilden. Sondern ein Bild davon zu vermitteln, das für die Moskauer Führung günstig ist. Sie sind „Waffen im Informationskrieg“, wie ihre Vertreter bisweilen offen sagen.

Der Kreml gibt direkte Anweisungen, wie bestimmte Themen zu behandeln sind. So kommt es, dass seine Medien dieselben Worte verwenden wie Vertreter von Ministerien und Parlamentsabgeordnete. Auf diese Weise sind Erzählungen etwa von Ukrainern als „Faschisten“ über Jahre in den Köpfen der Russen verankert worden. Regelmäßig geht es auch darum, die Leute zu verwirren, sie glauben zu machen, dass die Wahrheit nie ans Licht kommen könne. So verbreitete der Macht- und Medienapparat nach dem Abschuss von Flug MH17 über der Ostukraine 2014 gleichzeitig ganz unterschiedliche Versionen. Ihre einzige Gemeinsamkeit war, die Ukraine verantwortlich für den Tod der 298 Menschen an Bord zu machen. In der Invasion wiederholten sich solche Ansätze wie aus dem Lehrbuch.  

Als Korrespondent gilt es dann jedes Mal, die Ziele der Kommunikation zu erklären und die Aussagen zu überprüfen. Dabei hilft Dialog mit kundigen Kollegen in der Zentralredaktion, anderen Korrespondenten und Reportern vor Ort. Klar ist, dass man die Mitteilungen von Behörden und die Berichte kontrollierter Medien nicht einfach übernehmen darf. Auch durch Reden von Entschei­dungsträgern ziehen sich Halb- und Unwahrheiten. Wer solche Inhalte schlicht an seine Leser oder Hörer weiterträgt, wird selbst zur „Waffe im Informationskrieg“, und sei es unabsichtlich. Man muss erklären, einordnen – und jede Menge Anführungszeichen setzen.  

Russland sieht sich offiziell selbst als Angriffsziel in einem „Informationskrieg“ des Westens. Dennoch werden Berichte in westlichen Medien, welche die eigene Linie stützen, dankbar benutzt. Mit dem Tenor, endlich wache der Westen auf und erkenne, dass Russland recht habe. Es ist ein Hunger nach Bestätigung. Auch kritische Beiträge werden verwendet. So wertet die Staatsnachrichtenagentur Ria empörte Nutzerkommentare unter solchen Artikeln regelmäßig als Beleg dafür, das „einfache Volk“ in Deutschland, Frankreich oder Amerika stehe, im Unterschied zur „Elite“, auf Russlands Seite. Das kann komisch wirken. Besonders, wenn über den zitierten Wut-Posts statt Namen bloße Ziffernfolgen stehen.  

Russlands Krieg gegen die Ukraine, der aus Moskauer Sicht einer gegen den „kollektiven Westen“ ist, hat die Korrespondentenarbeit im Land erschwert. Die Zensur und das Risiko von Strafverfolgung haben dazu geführt, dass neben vielen heimischen Journalisten auch etliche Korrespondenten Russland verlassen haben. Wer bleibt, braucht viel mehr Zeit, um Formalitäten zu erledigen, den Alltag und für allerlei Eventualitäten zu planen. Man erhält Akkreditierungen und Visa nicht mehr für ein Jahr, sondern nur noch für drei Monate und unmittelbar vor dem Ablauf der alten. Banken verlangen immer mehr Daten und Unterlagen, blockieren Konten. Es dauert viel länger als früher, die nötigen Schriftstücke aus Deutschland nach Russland zu bekommen, weil es keine Kurierdienste und Direktflüge mehr gibt. Wer reist, meist über die Türkei, Dubai oder Belgrad, ist gut beraten, viel Bargeld mitzunehmen: In Wechselstuben erhält man mehr Rubel für den Euro als von den Banken.  

Im Land selbst verhindern Misstrauen und Angst viele Gespräche und Treffen. Der Exodus russischer Journalisten und Kritiker hat dazu geführt, dass man sich als Korrespondent eines freien Mediums vorkommen kann wie ein Überbleibsel aus vergangener Zeit. Und hofft, dass irgendjemandem mit Einfluss daran gelegen ist, dass auch westliche Korrespondenten in Russland bleiben. Und sei es mit der Begründung, dass sie trotz allem irgendwie dazugehören. Weil sie „immer schon“ da waren. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat seit 1956 eigene Korrespondenten in Moskau. Möge es so bleiben.

Friedrich Schmidt

Seit Januar 2014 politischer Korrespondent für Russland, Belarus, den Kaukasus und Zentralasien mit Sitz in Moskau. Jura- und Politikstudium in Passau, Berlin und Paris, Absolvent der Deutschen Journalistenschule. Im Juni 2008 Eintritt in die politische Redaktion der F.A.Z.