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Freiheit

Über das böse Erwachen der westlichen Demokratien, den Wert der Nachrichten und den Kampf der Medien für die Freiheit unserer Gesellschaft.

Von Thomas Lindner

Vor der Präsidentschaft von Donald Trump und dem aktuellen Ukrainekrieg war Freiheit für die meisten Menschen, insbesondere im Westen, eine Selbstverständlichkeit, ein allzeit verfügbares Gut, das trotz aller Konflikte nie in Gefahr schien. Dieser Anschein von Selbstverständlichkeit ging so weit, dass wir im Zuge der Erneuerung des Marken­auftritts der F.A.Z. 2018 lange darüber diskutiert haben, ob der Begriff „Freiheit“ in der Positionierung unserer Marke überhaupt noch genügend Relevanz hat.

Die Weltpolitik hat uns jedoch unerwartet und dramatisch vor Augen geführt, dass diese Annahme naiv ist. Im vergangenen Jahrzehnt konnten wir in Europa eine Wiederbelebung populistischer Parteien beobachten, die unser Verständnis von einem gesicherten, demokratischen Miteinander auf Basis geltender Rechtssysteme und der Kon­trolle unabhängiger, der Wahrheit verpflichteter Medien ins Wanken gebracht hat. Befeuert wurde dieser Aufstieg der Populisten durch die parallel zunehmende Macht der Plattformen und ihrer Algorithmen. Diese bestimmen im Werben um die Aufmerk­samkeit der Leser mittlerweile, welche Art der Berichterstattung einzelne Zielgruppen überhaupt erreicht, jedenfalls in der digitalen Medienlandschaft. In einer Welt, in der Wissens­aneignung zunehmend digital und personalisiert über selektierende Plattformen stattfindet, sind Nachrichten zudem zur kommerziellen Ware dieser Angebote geworden.

Insbesondere die Selektion durch Algorithmen hat große Veränderungen hervorgerufen. Sie enthält Nutzern bestimmte Informationen vor und führt ihnen andere gezielt und gehäuft zu, sodass eine veränderte, tendenziöse Wahrnehmung der Realität entstehen kann, sofern sich Nutzer nicht gezielt um andere Informationsquellen bemühen – was viele nicht tun. In der Konsequenz ist bei zu vielen Menschen das Vertrauen in die Aufrichtigkeit freier Medien und in der Konsequenz sogar in den Gerechtigkeitsanspruch freier, pluralistischer Gesellschaften erodiert.

Weder in den starken Demokratien des Westens noch im – für einige Jahre – entspannt anmutenden Verhältnis zum Osten dürfen Themen wie Respekt, Frieden und Freiheit als gegeben angesehen werden. Diese Werte und den Wert der Wahrheit und der Fakten zu verteidigen, ist heute leider wieder so wichtig wie vor fast 75 Jahren, als die F.A.Z. gegründet wurde.

Mit diesen Brüchen ist eine Erkenntnis verbunden, die viele unterschiedliche Konsequenzen hat. Speziell für unsere Branche bedeutet es, dass wir die Bedeutung und die Relevanz unabhängiger, seriöser, verlässlicher Informationen neu bewerten müssen. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Wiederherstellung des Vertrauens in Medien, die in den vergangenen Jahren in Teilen der Bevölkerung abgenommen hat. Die Gen Z wird sogar mit besonders wenig Vertrauen groß, was mir Sorge bereitet.

Die F.A.Z. hat sich seit ihrer Gründung dem Ziel verschrieben, für die Freiheit unserer Gesellschaft und unseres Landes einzustehen, und richtet all ihre Strukturen, Prozesse und Mittel darauf, dieses Ziel zu erfüllen. Wir haben damit auch einen klaren publizistischen Auftrag formuliert – das freie und selbstbestimmte Denken zu fördern. Dazu gehört auch, Raum für unterschiedliche Standpunkte und Kontroversen zu schaffen.

Dieser Auftrag dominiert die Qualität unserer Arbeit, nicht das wirtschaftliche Kalkül. Das zeigt sich auch darin, dass wir einer gemeinnützigen Stiftung gehören, die die Unabhängigkeit der F.A.Z. institutionell verankert.

Mit dem Anspruch, die Freiheit zu verteidigen und für sie einzustehen, stehen wir in der Medienlandschaft nicht alleine. Zeitungen wie die Süddeutsche und „Die Zeit“ oder einige Teile des Programms öffentlich-rechtlicher Medien haben sich ebenfalls diesem Ziel verschrieben. Gemeinsam stehen wir Schulter an Schulter für die Zukunft des unabhängigen Qualitätsjournalismus ein, als unverzichtbare Kontrollinstanz und Informationsquelle gleichermaßen, die die Dinge hinterfragt. Deswegen ist es uns auch nicht allzu schwer gefallen, die Werbevermarktung der F.A.Z. mit der der Süddeutschen zu verbinden. Beide Zeitungen verfolgen in dieser Hinsicht das gleiche Ziel, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln und teils unterschiedlichen politischen Ansichten.

Wenn wir eines gelernt haben, dann dass Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist – gesellschaftlich nicht, aber auch nicht publizistisch, wie der Blick Richtung Osten beweist. Die Wahrheit der Tat­sachen ist heiliger denn je, denn sie ist in Gefahr. Diesem Auftrag werden wir uns auch weiterhin verpflichten – im bewährten Format einer Zeitung und auf allen wichtigen digitalen Kanälen, auf denen die Menschen Orientierung durch Fakten suchen.

Thomas Lindner

Seit Januar 2014 Vorsitzender der Geschäftsführung der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH.