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Dimensionen des Vertrauens in Medien

Welche Medien halten die Menschen für glaubwürdig? Und was bedeutet das überhaupt? Ein internationales Forschungsprojekt sucht Antworten auf diese Fragen. Einblicke in den aktuellen Stand gibt der Projektleiter.

Von Prof. Dr. Michael Fretschner

Republic Media: Herr Professor Fretschner, Sie arbeiten gerade an der Entwicklung einer Vertrauensskala für Medienmarken – und das auch noch länderübergreifend im Verbund mit mehreren Universitäten. Ihr Ziel ist eine „Media Brand Trust Scale“ – wenn wir das richtig verstehen: ein Tool, mit dem Werbungtreibende in einer Art Vertrauensranking die Wirksamkeit ihrer Kampagnen in verschiedenen Medien ermitteln können. Gibt es so etwas nicht schon? Oder anders gefragt: was ist das Neue an Ihrem Projekt?
Michael Fretschner: Das sind aus meiner Sicht gleich mehrere Punkte. Erstens gibt es tatsächlich kein mir bekanntes Ranking, das sich ausschließlich und gezielt der Ergründung von Vertrauen in Medienmarken widmet. Ja, es gibt das berühmte Edelman Trust Barometer, das Vertrauen in Medien generell trackt, und immer wieder Ad-hoc-Studien, die einzelne Marken untersuchen. Da bekommt man auch Anhaltspunkte. Aber meist geht es eben nur um Medien generell, Handelsmarken oder ausgewählte News-Medien. Wir gehen die Sache „andersherum“ an und lassen im allerersten Schritt die Menschen entscheiden, was für sie überhaupt Medienmarken sind. Dazu bekommen sie eine vorbereitete Liste von vielen, vielen Marken vorgelegt, die sie zunächst einmal in „Medienmarke“ vs. „Nicht-Medienmarke“ klassifizieren sollen. Wenn man diese Daten aggregiert, bekommt man eine „demokratische Definition“ von Medienmarken, d.h. ein Set an Marken, die von den Befragten als Medien­marken empfunden werden, unabhängig davon, wie sich die Marke selbst definiert. Mit Meta, damals noch Facebook, war das ja auch so ein Thema, vor allem wegen der zusätzlichen juris­tischen Auflagen (der Communications Defency Act, Anm. der Redaktion). Das bedeutet auch, dass wir nicht nur F.A.Z. und Süddeutsche Zeitung mit der „Zeit“ und der „Bild“ vergleichen, sondern eben auch mit Instagram und Spotify – was der medialen Lebenswirklichkeit der Menschen heute auch besser entspricht.

Sie sprachen eingangs von mehreren Punkten – was macht das Projekt noch aus?
Richtig, also, zweitens messen wir nicht einfach nur Vertrauen, sondern auch und vor allem die sogenannten „Sub-Dimensionen“, die einzelnen „Teilstücke“ von Vertrauen, aus denen es sich zusammensetzt. Vertrauen ist keine direkt beobachtbare Größe wie Alter, Geschlecht oder Einkommen, sondern jede und jeder versteht etwas anderes darunter, jedem sind dabei andere Aspekte wichtig. Daher muss man sich die wissenschaftliche Ergründung von Vertrauen in etwa so vorstellen wie Puzzeln – nur wir wissen (oder wussten) noch gar nicht, aus wie vielen Puzzlestücken das ganze Bild eigentlich besteht und wie groß, d.h. wie bedeutsam, die einzelnen Puzzlestücke jeweils sind. Wenn man die Analogie auf die Spitze treiben will, könnte man auch noch hinzufügen, dass wir noch überprüfen müssen, inwieweit sich das Puzzle in Deutschland vom Puzzle in den USA und Asien unterscheidet. Der Anspruch der internationalen Gültigkeit ist nämlich auch noch ein Aspekt, der unser Projekt meiner Meinung nach von anderen abhebt.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist für uns der freie Zugang zu unserer Forschung und ihre Unabhängigkeit. Da das Projekt zu 100 Prozent von der NORDAKADEMIE Stiftung und der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg finanziert wird, sind wir in unserer Forschung komplett frei und können deshalb tatsächlich objektiv sein. Wir betreiben keine „Pro-Domo-Forschung“ und verfolgen keine Agenda. Weiterhin werden die Projektergebnisse nicht monetarisiert, sondern stehen im Rahmen des künftigen MBTS-Monitors allen Interessierten zum bewussten, reflektierten Konsum und Umgang mit Medien zur Verfügung. Das ist gerade bei einem so sensiblen Thema wie Vertrauen essenziell.

Das klingt spannend. Und wie weit sind Sie schon mit dem „Puzzeln“? Haben Sie schon alle Dimensionen des Medienvertrauens ergründet?
Wir sind kurz davor. Momentan sieht es nach einer „Big 5“ aus, d.h. fünf großen Puzzlestücken, die sich wiederum aus mehreren kleinen Puzzlestücken zusammensetzen. Zunächst einmal wäre da die Transparenz – dazu zählt auch, inwieweit der Purpose einer Medienmarke klar ersichtlich ist und als moralisch integer, objektiv und unverzerrt wahrgenommen wird. Die Glaubwürdigkeit bezieht sich auf Aspekte der journalistischen Kompetenz wie empfundene Recherchetiefe und konsistente Qualität. Die Dimension der Ähnlichkeit misst das Ausmaß der Identifikation mit der Medienmarke, die Beziehung wiederum die Summe der in der Vergangenheit mit der Medienmarke gemachten Erfahrungen. Zuletzt liefert die Marktorientierung eine Bewertung darüber, dass und wie die Medienmarke Geld verdient.

Das hört sich nach einem breiten Mix aus sowohl rationalen als auch emotionalen Beweggründen an. Sehen Sie da eventuell auch kulturelle Unterschiede in den jeweiligen Ländern?
Tatsächlich sehen wir die. In den USA sind die eher emotionalen Dimensionen Beziehung und Ähnlichkeit zur Medienmarke wichtiger als in Deutschland, wo wir ungefähr ein Gleichgewicht zwischen rationalem und emotionalem Vertrauen beobachten. In Asien wiederum überwiegen rationale Einschätzungen der Transparenz wie Unabhängigkeit und Objektivität.

Zum Schluss interessiert uns natürlich noch, wann wir mit den ersten Ergebnissen für einzelne Medienmarken rechnen dürfen. Und natürlich auch Ihre persönliche Einschätzung darüber, wo F.A.Z. und SZ im Ranking landen werden?
Ich denke, dass wir ungefähr in einem Jahr so weit sein werden. Wenn in Deutschland F.A.Z. und SZ, vielleicht neben der „Zeit“, ganz vorne mit dabei sind, würde mich das nicht wundern. Ich verstehe natürlich Ihr spezifisches Interesse, kann dazu aber wirklich noch nichts im Detail sagen. Aber wenn das – oder zumindest sehr ähnliche Ergebnisse – dabei nicht herauskommen würden, würde ich schon an der Validität unserer Daten und/oder Auswertung zweifeln (lacht, Anm. der Redaktion). Spannender ist da sicherlich der Blick hinter den einen globalen Gesamtscore und zu schauen, wodurch der zustande kommt. Stichwort Puzzlestücke. Denn nur so weiß man ja, an welchen Stellschrauben man drehen muss, um das Vertrauensniveau zu halten oder sogar auszubauen.
Wir sind auf jeden Fall schon sehr gespannt – und danken Ihnen für das Gespräch.

Fakten zum Projekt

Mit dem internationalen Verbundprojekt „Entwicklung der Media Brand Trust Scale (MBTS)“ wollen Michael Fretschner, Professor für Marketing & E-Commerce an der NORDAKADEMIE Hochschule der Wirtschaft, Claudia Fantapié Altobelli und Steffen Heim von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg sowie Lisa-Charlotte Wolter und Sylvia Chan-Olmsted von der University of Florida gemeinsam eine länderübergreifende Vertrauensskala für Medienmarken entwickeln. Diese soll die breite Medienlandschaft in Deutschland, den USA und Asien abbilden und die Brücke zwischen wissenschaftlicher Methodik und praktischer Anwendbarkeit in der Medien- und Werbewirtschaft schlagen. Als zentraler Output des Projekts soll eine globale Vertrauensmonitorseite entstehen, die die jährlichen Veränderungen des Vertrauensniveaus führender Medienunternehmen bewertet und über Jahre hinweg trackt.

Weitere Informationen finden Sie hier.

Prof. Dr. Michael Fretschner

Professur für Marketing & E-Commerce an der NORDAKADEMIE Hochschule der Wirtschaft in Hamburg/Elmshorn, Managing Partner von smart impact.