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Warum Nachhaltigkeit die Freiheit braucht

... und es sinnvoll ist, Freiheit und Verantwortung zusammenzudenken.

Von Philipp Krohn

Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben im April 2021 einen wegweisenden Beschluss gefasst. Er definiert den Rahmen, in dem sich die deutsche Klimapolitik bewegen muss. Maßnahmen müssten so ausgestaltet werden, dass sie nicht auf Kosten der individuellen Freiheit der Bürger gehen, so lautet die Quintessenz. Gleichzeitig aber beschränkt das Gebot der Nachhaltigkeit, also einer Wirtschaftsweise, die Senken und Ressourcen nicht über ihre Belastungsgrenzen hinaus beansprucht, die individuelle Freiheit im Konsum.

In diesem Spannungsfeld also muss eine erfolgversprechende Klimapolitik nach Räumen suchen. Dabei stehen Freiheit und Nachhaltigkeit in keinem fundamentalen Widerspruch. Ein Rückgriff auf alte liberale Argumentationsmuster kann helfen, diese Räume präziser zu bestimmen. Ist jedes Hinterfragen von Fleischkonsum, Urlaubsflügen oder Porschetrips schon eine unzulässige Gängelung im Sinne der Karlsruher Richter? Oder lässt sich ein Freiheitsverständnis vorstellen, das einen Verzicht auf staatliche Verbote und eine Lebens­­­weise in Einklang bringt, die den Planeten schont und ein Einschwenken auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Vertrags erlaubt?

Wer sich in die Argumentationsmuster klassischer liberaler Freiheitsdenker hineinversetzt, wird eines finden: Emphase für den Schutz der individuellen Entfaltung, aber nichts, das diesen über den Schutz der Lebensgrundlagen stellt. John Stuart Mill war einer der entschlossensten Verteidiger der Freiheit und Liebhaber einer intakten Umwelt. In seiner Wertabwägung verbietet er sich also eine staatliche Einrede in die private Lebensführung. Aber wenn Substanzen aus dem Wirtschaftsprozess gefährlich für Mensch und Umwelt sind, hat er auch nichts gegen Verbote.

Fast ein Jahrhundert später greift Friedrich August von Hayek, einer der liberalen Vordenker des zwan­zigsten Jahrhunderts, zentrale Gedanken Mills auf. Eine freiheitliche Grundordnung führe zu wünschenswerten Innovationen. Staatliche Behörden dürften sich kein Wissen anmaßen, welche Technologien am sinnvollsten seien, schreibt er in „Der Weg zur Knechtschaft“, das unter dem Eindruck der totalitären Regime in Deutschland und der Sowjetunion geschrieben ist.

Doch auch Hayek war sich der Folgen von Umwelt­schäden bewusst und hielt Eingriffe für notwendig, wenn sich ein Schadstoff als gefährlich erweisen sollte. Schon in diesem Buch legte er in den vierziger Jahren gedankliche Grundlagen für eine CO2-Bepreisung, die Produzenten und Konsumenten zu einem geringeren Ausstoß anreizt.

Bezieht man den US- amerikanischen Philosophen John Rawls ein, gehören zur Freiheit einige grundlegende Rechte wie Meinungs- und Pressefreiheit, freie Ausübung von Religion und Sexualität. Eine Verfassung der Freiheit zeichne sich dadurch aus, dass Individuen und gesellschaftliche Gruppen ihnen zustimmen können, wenn sie von ihrer persön­lichen Befindlichkeit absehen, also wie unter einem Schleier der Unwissenheit. Das beschreibt für ihn die Freiheit auf der Verfassungsebene.

Davon unterscheidet er den Einsatz für differenziertere Freiheitsvorstellungen von Akteuren im politischen Meinungsstreit. Dass trotz der Anforderungen des Klimaschutzes keine staatliche Stelle das Konsummuster eines fleischessenden, fliegen­den und porschefahrenden Bürgers hinterfragen dürfe, kann so ein legitimes Anliegen sein. Sie hat aber anders als die zuvor genannten Freiheiten keinen Verfassungsrang und muss im Meinungsstreit gegen andere Positionen erstritten werden.

Eng mit Rawls zusammengearbeitet hat der indische Philosoph und Ökonomie-Nobel-Gedächt­­nis­­preisträger Amartya Sen. Er hat dessen Argumente im Hinblick auf sein Freiheitsverständnis verfeinert. Für Sen bedeutet individuelle Fre­iheit die Möglichkeit von Individuen, ihre eigenen Fähig­keiten zu entfalten. Was sie daran hindert – Armut, schlechte Bildung, Kriege – sollte der Staat besei­tigen. Individuelle Entfaltung im Konsum spielt für Sen eine nachgelagerte Rolle. Allerdings sagt er auch, dass Verzicht um des Verzichts willen nicht erstrebenswert sei.

Wer Freiheit und Verantwortung zusammendenkt, findet in einigen Vorträgen und Papieren Amartya Sens der vergangenen zwei Jahrzehnte einige wert­volle Argumente. Er widerspricht der gängigen öko­nomischen Lehre, wirtschaftlichen Erfolg von der individuellen Bedürfnisbefriedigung abhängig zu machen.

Um die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, sollten Menschen eine Nachhaltigkeitspräferenz entwickeln. Das mündet in die Idee einer Ökonomie des rechten Maßes, in der Menschen freiwillig so konsumieren, wie es unter den Erfordernissen eines 1,5-Grad-Pfades nötig wäre. Um freiwillig zu einer nachhaltigen Transformation zu kommen, ohne vom Staat bedrängt zu werden, lässt sich ein solches Maß finden: Der ökologische Fußabdruck ist dafür eine Maßeinheit.

Seit 2008 Wirtschaftsredakteur bei der F.A.Z., hier u. a. zuständig für die Reportage-Seite „Menschen und Wirtschaft“. 2023 erschien sein Buch „Ökoliberal“.