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Der Zukunft verpflichtet

Über Journalismus, der das Morgen immer im Blick behält.

Von Rainer Schmidt

Die Zukunft interessiert alle. Alle wollen wissen, was morgen ist. Nichts ist so spannend wie die Zukunft, zugleich ist nichts so ungewiss. Das öffnet automatisch einen sehr großen journalis­tischen Möglichkeitsraum, den es mit Bedacht und kühlem Blick zu betreten gilt, um gerade bei diesem Thema nicht der lockenden Versuchung nachzugeben, in Extreme zu verfallen: Allzu oft sehen und hören wir Vorhersagen und Projektionen, die nur zwischen visionären Schlaraffenland-Träumereien und apokalyptischen Prophezeiungen zu pen­deln scheinen, die mit Leidenschaft in kräftigs­ten Farben ausgemalt werden. Weltuntergang hier, euphorische Weltraumkolonialisierung dort. Der nahe Tod für alle versus unbeschwertes Leben in einer sauberen, superfunktionalen, technikbasierten Umwelt. Das sind beliebte Pole bei der Zukunftsbetrachtung, denn sie sind in jedem Fall schön plakativ und leicht verständlich, aber diese Darstellung führt journalistisch ins Abseits. Denn wer die Welt so holzschnittartig präsentiert, verliert nicht nur schnell an Glaubwürdigkeit, weil jeder intelligente und informierte Leser derartige Verein­­fachungen instinktiv und sehr rasch als effekthaschende Absicht erkennt, sondern wird auch seiner journalistischen Verantwortung gegenüber den Lesern nicht gerecht. Unsere Aufgabe ist es weder, Angst zu schüren, noch das Publikum durch Schönfärberei einzulullen und zu beruhigen. Unsere Verantwortung ist es, Fakten und in die Zukunft weisende Planungen und Ideen in einem erklärten, nachvollziehbaren Kontext so darzustellen, dass die interessierten Leserinnen und Leser daraus ihre eigenen Schlüsse ziehen können. Verantwortung heißt hier immer: Differenzierung.

Im Frankfurter Allgemeine Quarterly stellen wir deshalb das Panorama der unterschiedlichen mög­lichen Entwicklungsstränge und Lösungsmöglich­keiten für aktuelle und klar erkennbare zukünftige Probleme vor und ordnen sie zugleich auch immer kritisch ein. Es geht uns nicht um Fantastereien, die, klar gekennzeichnet, in Ausnahmefällen auch ab und zu mal ihre Berechtigung haben können. Es geht uns vor allem darum, die im Hier und Jetzt bereits erkennbaren, erlebbaren und beschreibbaren Spuren des Morgen aufzuspüren. Das gibt unseren Berichten und Reportagen die Erdung, die eigentliche Legitimation. Basis ist immer, dass irgend­wer irgendwo etwas konkret macht oder gemacht hat, was unsere Zukunft verändern, verbessern oder dazu führen könnte, dass wir sie neu bewerten.

Ausgangspunkt ist also stets die Frage: Wo wird woran geforscht, wer hat welche Entdeckung gemacht und welche Entwicklung angestoßen, welche neuen Formen des Arbeitens, Wohnens und der Beziehungen werden tatsächlich schon, wenn vielleicht auch nur von ganz wenigen, praktiziert? Mit welchen Erkenntnissen, mit welchem Gewinn und welchen Problemen? Und was kann man aus solchen, möglicherweise nur singulären, Beobach­tungen für Schlussfolgerungen ziehen, was sind die Lehren und Konsequenzen für ein größeres Publikum, für die Gesellschaft? Das gewissenhaft herauszuarbeiten, ist ein immanenter Teil unserer journalistischen Verantwortung.

Wenn wir über den starken Trend zu offenen Beziehungen in einigen Gesellschaftsbereichen berichten und die Protagonisten erklären lassen, welche Vorteile sie dabei im Vergleich zu traditionellen Verbindungen sehen, weisen wir zugleich darauf hin, dass eine Mehrheit da immer noch sehr andere Vorstellungen hat. Wenn wir zeigen, dass heute und in Zukunft immer mehr Alte gerne über die Pensionsgrenze hinaus arbeiten wollen, weil sie sich körperlich und geistig fit fühlen und motiviert sind, erzählen wir auch, dass einige dazu nach harten Berufsjahren gar nicht mehr in der Lage sind. Und lassen auch jene zu Wort kommen, die trotz ihres Alters nur arbeiten gehen, weil sie von ihrer kleinen Rente allein nicht leben können. Verantwortung heißt auch hier: Differenzierung.

Die Zukunft interessiert alle. Alle wollen wissen, was morgen ist. Und gerade deshalb haben die Leser­innen und Leser ein sehr feines Gespür dafür, wer ihnen gegenüber seine publizistische Verantwortung wirklich ernst nimmt. Deswegen machen wir beim Frankfurter Allgemeine Quarterly da keine Kompromisse.

Seit Mitte 2016 verantwortlicher Redakteur von F.A.Z. Quarterly. Vorher­gehende Stationen u. a.: BBC World Service, „Zeit Magazin“, „Spiegel-Reporter“, stellvertretender Chef­redakteur „Vanity Fair“, Chef­redakteur „Rolling Stone“.