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Dunkle Ecken in New York

Die Strafermittlungen gegen Fifa-Präsident Gianni Infantino gehen maßgeblich auf Recherchen der Süddeutschen Zeitung zurück. Zu gutem Sportjournalismus gehört auch eine verantwortungsvolle Verdachtsberichterstattung.

Von Claudio Catuogno

Der Anwalt von Gianni Infantino war sich seiner Sache offenbar ziemlich sicher, als er zum Jahreswechsel 2021/22 am Landgericht Köln seine Klage gegen die Süddeutsche Zeitung begründete. So sicher, dass er in seine schriftlichen Stellungnahmen die ein oder andere spöttische Bemerkung hineinstreute.

Im Sportteil der SZ war im November 2021, kurz vor der WM in Katar, eine große Geschichte über Infantino erschienen. Die SZ hatte herausgefunden, dass der heutige Präsident des Fußball-Weltverbands Fifa im Oktober 2015 offenbar heimlich – jedenfalls unter Angabe eines falschen Reisegrunds in den Büchern seines damaligen Arbeitgebers – für weniger als 48 Stunden nach New York geflogen war. Die SZ hatte Infantino damit konfrontiert, aber keine konkreten Auskünfte bekommen. Was wiederum einen Verdacht untermauerte, den mit den Vorgängen vertraute Personen der SZ vertraulich dargelegt hatten: dass Infantinos diskreter Kurztrip etwas zu tun gehabt habe mit den Ermittlungen, die die New Yorker Justiz damals gegen fragwürdige Fußballfunktionäre führte.

Der spätere Fifa-Präsident: zu Geheimge­sprächen bei New Yorker Strafermittlern? Infantino wollte diese Berichterstattung verbieten lassen. Er wollte aber auch dem Landgericht – und später dem Oberlandesgericht, wohin der Fall weiterverwiesen wurde – nicht verraten, was es mit dem New-York-Trip auf sich hatte. Er könne sich nicht erinnern, wen er dort getroffen habe. Er könne noch nicht einmal sagen, ob er überhaupt geflogen sei. Und selbst wenn, teilte sein Anwalt spöttisch mit: „Mit gleicher Überzeugungskraft könnte man die Reiseangaben als Beweis dafür anführen“, Infantino habe sich „in den Catskill Mountains im Staate New York mit Wilderern zur Hatz auf Schwarzbären verabredet“.

Genützt hat es Gianni Infantino nichts. Das Gericht wertete es in seinem Beschluss als „äußerst lebensfern“, dass man so gar keine Erinnerung mehr an eine Transatlantik-Reise haben will. Letztlich war der Kölner Beschluss das Siegel auf der SZ-Recherche, die kurz darauf auch mit dem „Großen Preis“ des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS) ausgezeichnet wurde – eine gerichtliche Bestätigung, dass die Sportredaktion mit ihren Infor­­mationen verantwortungsvoll umgegangen war.

Was darf eine Zeitung andeuten oder hinterfragen – selbst wenn sie es nicht letztgültig beweisen kann? Das regeln die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung. Längst kommen diese auch im Sportteil zum Tragen, denn im Spitzensport sind so viele Milliarden und so viele Interessen im Spiel, dass es für Journalisten jede Menge dunkle Ecken auszuleuchten gibt, von Doping bis zu Untreue oder Korruption. Und besonders häufig in den Fokus der SZ-Berichterstattung schiebt sich da seit Jahren: Infantino.

Ein paar Beispiele? 2018 hatte Infantino seine Fifa-Vorstände gebeten, ein angeblich sagenhaftes Geschäft abzusegnen: Ein Investor biete 25 Milliarden US-Dollar, im Gegenzug müsse man lediglich ein paar weitere Spiele in den Fußballkalender hieven. Leider dürfe er nicht sagen, wer der Investor sei. Zustimmen sollten die Vorstände trotzdem. In der SZ konnten sie dann allerdings nachlesen, dass Infantino sich einem Konsortium mit Anbindung nach Saudi-Arabien versprochen hatte. Und der Deal an sich erschien auch nicht mehr so großartig: Vereinbart waren nicht nur ein paar Spiele mehr. Fast alle Rechte und Vermögenswerte der Fifa sollten in die neue Firma ausgelagert werden. Das abstruse Milliardengeschäft war dann bald wieder abgeblasen.

Die nächste Recherche: Nach einer Rundreise durch die Karibik hatte Infantino 2017 in Surinam kurzerhand einen Privatjet chartern lassen für den Heimflug in die Schweiz, die Kosten: sechsstellig. Als Reisegrund gab er ein angebliches Treffen mit einem wichtigen Fußballvertreter an. Das aber, recher­­chierte die SZ, war nie geplant und fand nie statt.

Oder, auch legendär: Infantinos Geheimtreffen mit dem damaligen Chefermittler der Schweiz, Michael Lauber. Mehrere Mal saßen die beiden über Stunden zusammen, obwohl Laubers Bundes­anwaltschaft damals auch im Fifa-Umfeld ermittelte; an eines der Treffen konnte sich partout keiner der Teilnehmer mehr erinnern. Mehrere Verfahren platzten danach wegen Befangenheit, Lauber verlor seinen Job. Bis heute ermittelt die Justiz gegen Infantino wegen Beihilfe zum Amtsmissbrauch, wenn auch mit stark reduziertem Eifer. Aber dass sich die Schweizer Staatsanwälte überhaupt mit den Umtrieben des Fifa-Patrons beschäftigen, geht maßgeblich auf Recherchen der Süddeutschen Zeitung zurück.

Wenn Vorwürfe veröffentlicht werden, wittern die Betroffenen gerne eine „Kampagne“. Die SZ, wird dann erzählt, sei halt sehr Fifa-kritisch. Das Gegen­teil ist richtig. Mit mancher Recherche hat die SZ Verbände wie die Fifa, aber auch den Deutschen Fußball-Bund, schon vor Schlimmerem bewahrt. Auch das gehört zur Verantwortung, die guter Sportjournalismus hat.

Leitet seit 2021 das Sportressort der SZ. Zuvor arbeitete er u. a. für den Bayerischen Rundfunk, berichtete für die SZ als sportpolitischer Korrespondent aus Berlin, bevor er 2010 als stellvertretender Ressortleiter zurück nach München wechselte.