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Fast Fashion ist out – Nachhaltigkeit kommt in Mode

Wie der Nachhaltigkeitstrend die Modebranche erobert.

Von Alfons Kaiser

Zum Beispiel der Aralsee. Einst war er der viert­größte Binnensee der Erde, fast so groß wie der Freistaat Bayern, heute ist er fast ganz verschwunden. Zu Sowjetzeiten hoffte man, aus dem See mehr als nur Fische herauszuholen. Also baute man in den trockenen Regionen drumherum Baumwolle an. Die durstigen Sträucher wurden mit Kanälen aus dem See mit Wasser versorgt. Und zwar mit so viel Wasser, dass der riesige zentralasiatische See immer weiter austrocknete. Heute ist dort weitgehend Wüste. Die Flora und Fauna ist erloschen. Zehntausende Arbeitsplätze in der Fischerei sind verloren. Der Wüstenstaub ist verseucht mit den Rückständen von Pestiziden.

Zugegeben, das ist ein drastisches Beispiel. Aber zieht man der schönen Modebranche den Schleier ab, dann entdeckt man viele Klimaschäden und viel Umweltverschmutzung. Die Katastrophe vom Aralsee geschah zu einer Zeit, als die „Fast Fashion“ noch gar nicht zur Höchstform aufgelaufen war. Seitdem hat der Konsum in ungeheurem Maße zugenommen. Der Billigkonsum wird gefeiert als „Demokratisierung des Luxus“. Was für ein Zynismus, was für eine Herabwürdigung wirklicher Demo­kratiebewegungen in aller Welt! Dabei geht es beim schönen Schein, das wird immer mehr offen­bar, um hohen Ressourcenverbrauch, beschä­mende Arbeitsbedingungen, horrende Gewinnmaximierung und ruchlose Umweltverschmutzung. Der Brand in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch mit mehr als 1.000 Toten vor zehn Jahren war das erste Fanal. Seitdem denken viele Verbraucher anders über ihren Konsum. Aber verhalten sie sich auch anders?

Es sieht nicht danach aus. Die globale Textilproduk­tion hat sich laut der EU-Kommission von 2000 bis 2015 verdoppelt. Die Nutzungsdauer von Kleidung verkürzt sich. Laut Greenpeace werden sogar 40 Prozent aller neu gekauften Kleidungsstücke nie getragen. Am Ende wird nur etwa ein Prozent der Textilien recycelt. Und die Fast-Fashion-Marken wie H&M, Zara und Primark werden gerade sogar noch überholt. Der Onlinehändler Shein aus China bietet bis zu 1.000 neue Produkte an – pro Tag! Kein Wunder, dass die Verbraucher ganz irre werden wegen des großen Angebots und der niedrigen Preise.

Aber es gibt Gegenbewegungen, und die werden langsam zum Trend. Die Europäische Union bemüht sich um Kreislaufwirtschaft. Recycling und Wiederverwendung werden gestärkt. Modemarken nehmen alte Ware zurück. Immer mehr Firmen produzieren nachhaltig. Und das Greenwashing von Unternehmen, die grüner erscheinen wollen, als sie es wirklich sind, wird öfter als Betrugsversuch entlarvt. Ökomode-Anbieter wirken nicht mehr so gestrig wie früher – Hessnatur zum Beispiel arbeitet mit Wolfgang Joop zusammen. Öffentliche Kleider­tauschbörsen und private Kleidertauschpartys haben immer mehr Zulauf. Vintage-Fans kaufen in Secondhand-Läden und auf Flohmärkten ein. Online-Plattformen wie Vestiaire Collective bieten geprüfte Secondhand-Originalprodukte von Luxus-Labels an, so dass auch der Hermès-Tasche ein zweites Leben beschieden wird. Und dass es an Informationen mangelt – damit kann sich auch niemand mehr herausreden: Das Portal Siegelklar­heit, eine Initiative der Bundesregierung, informiert über die verwirrende Vielzahl an Siegeln.

Vielleicht braucht es noch mehr für eine nachhaltige Änderung. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass der Änderungsschneider an der Ecke, an dem man so oft achtlos vorbeigeht, eigentlich eine Sym­­bol­figur der Weiterverwertung ist. Jetzt müssten nur noch Influencer mit Millionen Followern auf Instagram und Tiktok zeigen, wie der Schneider an der Nähmaschine sitzt – und wie er den alten Sachen überraschenden neuen Wert gibt.

Seit 1995 bei der F.A.Z., zunächst als Volontär, dann als Redakteur. Seit 2000 verantwortlich für das Ressort „Deutschland und die Welt“, seit 2013 auch für das F.A.Z. Magazin. Am liebsten schreibt er über Mode.