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Künstliche Intelligenz ist verantwortungslos, Menschen nicht

Für Journalisten gelten Regeln, an die sich eine KI nicht halten muss. Aber es gibt einen Ausweg.

Von Andrian Kreye

Seit künstliche Intelligenz (KI) nicht nur Muster erkennen und Daten sortieren kann, tobt eine Debatte, die fast schon religiöse Züge angenommen hat. Wird KI zu einer Macht, die die Menschen von ihren Problemen erlöst, oder wird sie die Menschheit vernichten? Solche Fragen haben vor allem einen Kern. Die Menschen sind machtlos und können deswegen auch keine Verantwortung übernehmen. Nur die Schöpfer und Hüter der KI aus dem Silicon Valley vermögen es, ihre Geschicke zu lenken. Das hieße in der Konsequenz auch, dass weder Gesetze noch Regeln noch Ethik helfen würden, die neue Technologie so zu nutzen, dass sie dem Allgemeinwohl und nicht nur den Profiten dient. So funktionieren archaische Glaubensgemeinschaften, keine modernen Gesellschaften.

Die eigentliche Frage aber stellt sich allen, die sich derzeit damit beschäftigen, KI für sich zu nutzen. Denn die Technologie selbst weiß nicht, was Verantwortung ist. Sie versteht überhaupt nur wenig. Auch wenn KI nun Texte, Codes und Bilder generieren kann, sind das alles nur Produkte von Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Was KI tut ist, Befehle zu erfüllen. Also müssen die Menschen selbst Verantwortung übernehmen, und zwar auf jeder Ebene.

Auch im Süddeutschen Verlag gibt es eine Arbeitsgruppe, die prüft, welche KI-Anwendungen für Verwaltung und Redaktion nützlich sein können, welche man übernehmen, welche man selbst programmieren muss. Drei Gefahren gibt es dabei. Das eine ist die Automatisierung. Auf Wirtschafts- und Technologiegipfeln in aller Welt ist es die Selbstverständlichkeit, über die niemand spricht. Künstliche Intelligenz wird die Arbeit von Menschen ersetzen, das tut sie jetzt schon. Wer sie also nutzt, um Stellen abzubauen, hilft kurzfristig seinen Bilanzen und schadet langfristig seinem Betrieb, denn Menschen sind nach wie vor das größte Kapital jedes Medienbetriebes. Ausbildung, Erfahrung und ein klarer Blick auf die Realität sind die Grundlage für gute Texte, Bilder, Videos und auch für die Unterhaltung.

Menschen sind es auch, die der zweiten Gefahr begegnen können, die in der KI schlummert. Denn die lernt aus Datensätzen, die sich in erster Linie aus dem Internet speisen, und darin verbergen sich all die Schieflagen, Ungerechtigkeiten und Vorurteile, die sich über die Jahre angesammelt und verhärtet haben. Das ist auch eine Folge der Verantwortungslosigkeit, mit der Digitalkonzerne bisher zugelassen haben, dass sich Hass, Hetze und Falschnachrichten im Netz exponentiell ausbreiten können. In den USA gibt es ein Gesetz, das Digitalfirmen ausdrücklich von dieser Verantwortung befreit. Das ist der Absatz 230 des Medien­gesetzes von 1996. Ursprünglich sollte der eine junge Industrie davor schützen, an Gerichtsverfahren zugrunde zu gehen, die auf Gesetzen für traditionelle Medien beruhen. In Europa versucht man nun, diesen Mangel mit neuen Gesetzes­pa­ke­ten zu beheben. Allerdings sind fast alle Digitalfirmen von Bedeutung aus den USA. Deswegen ist der Zeitrahmen, bis diese Firmen zur Verantwortung gezwungen werden können, viel zu groß, um mit dem Tempo der technischen Entwicklungen mithalten zu können.

Die dritte Gefahr ergibt sich teils aus diesem Punkt, hat allerdings auch technische Gründe. Das ist das Problem der Falschnachrichten, Verzerrungen und Lügen. Generative KI ist daraufhin programmiert, Sprache und Bilder zu erzeugen. Jeder Text und jedes Bild werden zum einen vom Befehl des ausführenden Menschen bestimmt. Zum anderen liefern sie ihre Ergebnisse ohne Rücksicht auf Tatsachen und Fakten. Es ist der KI egal, was sie liefert, sie ist nur darauf ausgerichtet, dass sie liefert. Wahrhaftigkeit aber ist die größte Verantwortung jedes Medienhauses.

Es gibt eine recht einfache Methode, diesen Verantwortungen gerecht zu werden. Die Grundregeln der Publizistik und des Journalismus gelten, egal, ob wir einen Bleistift oder eine künstliche Intelligenz verwenden. Deswegen können nur Menschen Entscheidungen fällen, die andere Menschen, unsere Produkte und deren Inhalte betreffen. Das aber steht in der Macht jedes einzelnen Menschen, der KI verwendet.

 

Andrian Kreye

Seit 2020 Leitender Redakteur im Feuilleton und vielfach ausgezeichneter Autor der SZ. Zuvor arbeitete er viele Jahre als Journalist in New York und war ein Redakteur der ersten Stunde bei der Zeitschrift Tempo.

Fotos ohne Fotografen?
Das oben eingesetzte Bild entstand ohne Vorlage mit der KI-Funktion in Photoshop. Vorgegeben war lediglich als Motiv „KI und Roboter“ und als Stil „fotorealistisch“