Was nichts kostet, ist auch nichts
Warum sinnstiftender Journalismus die Bezahlschranke braucht.
Von Carsten Knop
Noch im Jahr 2018 hat der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in seinem Buch „Die große Gereiztheit“ folgende These aufgestellt: „Das Kernproblem besteht darin, dass die Grundfrage, wie sich journalistische Qualität refinanzieren lässt, nach wie vor ungelöst ist. Es fehlt das robuste, langfristig erfolgreiche Geschäftsmodell, um die sinkenden Einnahmen auszugleichen.“ Das mag vor drei bis vier Jahren noch wahr gewesen sein. Inzwischen hat sich viel verändert. Mit neuen, auch für junge Zielgruppen attraktiven digitalen Abo-Modellen zu sehr niedrigen Preisen und mit kürzesten Kündigungsfristen ist es gelungen, Zehntausende neue zahlende Leser für digitalen Qualitätsjournalismus zu begeistern.
Diese Leser haben erkannt, dass „weitgehend unsichtbare Instanzen der Informationsfilterung und -distribution“ (Pörksen) nicht noch mehr Einfluss gewinnen sollten. Sie schätzen einerseits zwar, dass im digitalen Universum ein offener, von kaum steuerbaren Netzwerkeffekten geprägter Raum entstanden ist, in dem die „Gleichzeitigkeit des Verschiedenen, die Unterschiedlichkeit der Stimmungen und Stimmen unmittelbar zugänglich und unmittelbar erlebbar geworden ist“. Auch der Medienwissenschaftler stellt fest, dass man dort kluge, analytische Kommentare, erhellende und unterhaltende Beiträge in großer Zahl finde. Es gebe inspirierende Debatten auf Twitter und Facebook, in Blogs und Kommentarspalten; man entdecke relevante Information und banale Narration, Berichte über echte Missstände und abstruse Behauptungen, das sinnlose Spektakel und die berührende Geschichte. Man stoße andererseits aber eben auch auf Hass, Polarisierung und das Geraune der Verschwörungstheoretiker, die ihr Denken gegen jeden Einfluss gepanzert haben. All diese Parallelöffentlichkeiten seien simultan präsent.
Dieser „Möglichkeit der Disintermediation bei gleichzeitiger Hyperintermediation“ lässt sich inzwischen jedoch etwas entgegensetzen, das immer mehr Leserinnen und Leser zu schätzen wissen. Sie wollen sich eben nicht von den Journalisten verabschieden, zu denen sie neues Vertrauen gewonnen haben, weil sie sich der Qualitätskontrolle und dem Diskurs im Netz stellen, wohlgemerkt dem Diskurs, nicht unbedingt der Empörung. Immer mehr Menschen finden in dieser neuen Konstellation zurück zu klar erkennbaren, institutionell fassbaren Zentren des publizistischen Einflusses in Gestalt klassischer Leitmedien, die den Sprung in die moderne Zeit geschafft haben.
Sie haben verstanden, dass es ein Wert auch für die Orientierung im eigenen Leben sein kann, wenn die Vielfalt der Informationen geordnet wird, Inhalte sortiert werden, über Bedeutung und Publikationswürdigkeit entschieden wird. Denn sie Vertrauen „ihrer“ Medienmarke – und sie wissen, dass die Redakteure erreichbar sind, wenn einmal etwas nicht so gut funktioniert hat.
Sie bilden sich ihre eigene Meinung auf der Basis dessen, was dort präsentiert wird – und diese Meinung muss nicht derjenigen der Redaktion entsprechen. Aber sie wollen nicht missen, dass hier von einer professionellen Redaktion die Grenzen des Sagbaren und öffentlich Vertretbaren definiert werden, die Leitlinien des Diskurses, wie Pörksen schreibt. Nur ist das Publikum heute nicht mehr vergleichsweise passiv wie früher. Wer mit einem Artikel oder einer Sendung nicht einverstanden ist, hat heute ganz andere Interaktionsmöglichkeiten. Und kluge Redaktionen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben, lassen genau diese zu, verlangen dafür aber auch Geld.
Mit der Bereitschaft, für diese Art von Qualitätsjournalismus mit eingebauter Qualitätskontrolle Geld zu zahlen, holt sich der Journalismus die Hoheit über seine Vertriebskanäle von Plattformen wie Facebook & Co. zurück, Schritt für Schritt – jedenfalls hat er die Möglichkeit dazu, wenn in den kommenden Jahren der hier beschriebene Weg konsequent weitergegangen wird. Die Identifikation mit dem journalistischen Urmedium und der eigentlichen Quelle, sie muss erhalten bleiben. Das ist die Chance und die Verpflichtung für die „klassischen“ Medienmarken zugleich.
Seit April 2020 Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen. Davor Chefredakteur für die digitalen Produkte und bis 2018 für die Frankfurter Allgemeine u.a. als Wirtschaftskorrespondent in New York und San Francisco tätig.