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Ein Lob der Gelassenheit

Im Zeitalter des Geschreis und der Dauerbeschleunigung sind Übersicht und Ruhe wertvolle Begleiter.

Von Stefan Kornelius

Zum Beispiel das Klima. Es ist ja keine Neuigkeit, dass die Erderwärmung zu gravierenden Problemen führt. Es kann auch niemand behaupten, dass „die Politik“ oder „die Medien“ für dieses Menschheitsproblem keine Aufmerksamkeit aufbrächten. Und dennoch wurde der UN-Klimakonferenz in Glasgow eine Aufmerksamkeit zuteil, die fast schon in eine Hysterie mündete. Die Erwartungen steigerten sich derart, dass sich die damalige Bundesumweltministerin zu einer Mah­nung genötigt sah: Es sei ein Fehler, eine „spontane Weltrettung“ zu erwarten, mahnte Svenja Schulze in großem Ernst.

Spontane Weltrettung – eine faszinierende Vorstellung, aber man muss der Ministerin ihren Sarkas­mus verzeihen, vor allem wenn man das ermüden­de In-sich-Geschäft der professionellen Weltretter im jährlichen Ritual der Klimakonferenzen betrachtet. Tausende Politiker, Forscher, Beisteher und Mahner versammeln sich seit sage und schreibe 42 Jahren (die eigentliche COP-Serie begann 1995), um den globalen Konsens in Sachen Klima herbeizureden. In einer Gesellschaft wie der deutschen, wo den Werkzeugen der Vereinten Nationen wunderheilende Wirkung zugesprochen werden, muss die Verdichtung von Problem und Ereignis unweigerlich zu einem Erwartungsdruck führen – der letztlich nur enttäuscht werden kann. Es ist das zentrale Merkmal dieser Zeit, dass eher zu viel als zu wenig kommuniziert wird. Das ist nicht verwerflich. Im Gegenteil zeichnet es eine offene und tolerante Gesellschaft aus, dass sie in der 24/7-Welt und mit sämtlichen digitalen, analogen, hybriden, fluiden und auch skurrilen Werkzeugen dieses Zeitalters miteinander ins Gericht geht. Das mag mitunter anstrengend sein, verboten ist es nicht.  

"Weil die spontane Weltrettung nicht zu erwarten ist, muss es wenigstens ein paar Kommunikationsprofis geben, die der Gefahr der Überhitzung entgegenwirken und die Balance finden zwischen Drama und Dringlichkeit."

Kommunikation will aber gelernt sein – und am Ende auch ertragen werden. Denn das Überangebot an Gemeintem, Gesagtem und Gefordertem hat – wen wundert's – auch seine unschönen Folge­wirkungen, die seit Beginn der Kommunikationsrevolution vor mehr als zehn Jahren zu begutachten sind: Radikalisierung, Verunsicherung, Parallelwelten, Inflation der Lüge und der Demagogie. Und da ist natürlich das ganz simple Gefühl der Übersättigung und Erschöpfung durch eine all­gegenwärtige Problemwelt, die einfach nicht mehr weichen will. Weil die spontane Weltrettung nicht zu erwarten ist, muss es wenigstens ein paar Kommunikationsprofis geben, die der Gefahr der Überhitzung entgegenwirken und die Balance finden zwischen Drama und Dringlichkeit. Ordentlicher Journalismus tut genau dies – er erklärt und ordnet ein, er mahnt auch und kommentiert. Aber er kennt die Mechanismen des Möglichen und wirkt der Radikalisierung und Blasenbildung entgegen, indem er die Perspektive wechselt, die überraschende Gegenfrage stellt, wohltuende Gewissheiten zerstört und für den Blick der anderen sensibilisiert. Da geht es um Fachwissen, den Takt der Politik, auch die Nähe zu den Entscheidern, die Fluch und Segen zugleich ist. Mit all dem Wissen verantwortungsbewusst umzugehen – das zeichnet Qualitäts­medien aus, die nicht von der Hysterie leben, sondern von Nüchternheit, Sachlichkeit und dem Wunsch nach Wissen und Aufklärung.  

Sicher: Der Scoop ist wichtig, die Exklusivität, die Aufdeckung. Aber nicht weniger wertvoll ist die Recherche zum Strommengenbedarf, dem Chip­mangel oder der Auswirkung der Mobilitätswende auf den Arbeitsmarkt. Dazu braucht es Journalistinnen und Journalisten mit dem Hang zur Mehrwisserei, nicht zur Besserwisserei. Klima, die Pandemie oder auch die großen geopolitischen Verschiebungen zwischen den Mächten der Welt lösen Unsicherheit aus – und fördern das tiefe Bedürfnis nach Aufklärung. Qualitätsjournalis­mus dient im klassischen Sinn dieser Aufklärung – weil Revolutionen leichter zu ertragen sind, wenn man weiß, wie sie möglicherweise enden.

Stefan Kornelius

Seit 2021 Ressort­leiter Politik der Süddeutschen Zeitung. Vorher verantwortlich für Außenpolitik, stellvertretender Leiter des Berliner Büros, Korrespondent in Washington. Start bei der SZ 1991 als Korrespondent in Bonn.