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Hinter den Fakten steckt der Sinn

Wie funktioniert guter Wissenschaftsjournalismus?

Von Sibylle Anderl und Joachim Müller-Jung

Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei, und doch haben wir eines bereits unzweifelhaft gelernt: Ohne Wissenschaft geht es nicht in Krisen­zeiten, und noch weniger ohne Wissenschaftskommunikation. Denn wenn die aktuellen großen gesellschaftlichen Herausforderungen das Verständ­nis wissenschaftlicher Hintergründe voraussetzen, ist deren Vermittlung – die Bereitstellung von „Fakten“ – eine zentrale demokratische Aufgabe. Die Erfüllung dieser Aufgabe, auch das hat diese Krise gezeigt, ist allerdings alles andere als trivial. Gesellschaftlich relevante Wissenschaft ist schließlich heute komplex. Sie entwickelt sich höchst dyna­misch, beruht auf schwer zu durchschauender Modellbildung und erzeugt Wissen unter großen Unsicherheiten. Zu erklären, warum all das nicht notwendig ein Makel ist, und wie es der Forschung trotzdem gelingt, verlässliches Wissen zu generieren, ist für den Wissenschaftsjournalismus eine große Herausforderung. Er muss es schaffen, ein nuancier­tes Bild der Forschung zwischen den Zerrbildern der „unfehlbaren Faktenfabrik“ einerseits und der „menschgemachten Konvention“ andererseits zu entwerfen.

Das beginnt mit einer Vermittlung von Datenkompetenz. Dass es gute und schlechte Daten gibt, und dass aus Daten keine Fakten folgen, sofern man nicht weiß, wie die Daten erhoben wurden, sind ebenso wichtige Einsichten wie ein grundlegendes Verständnis statistischer Grundlagen vom Median bis zur Wahrscheinlichkeitsrechnung. Es reicht eben nicht, der Öffentlichkeit Zugang zu Daten zu gewähren – man muss sie auch erklären und einordnen können. Man muss etwa erklären, warum man Infektionszahlen aus verschiedenen Ländern nicht so einfach miteinander vergleichen kann, wenn die Testkampagnen in diesen Ländern sehr unterschiedlich sind. Oder wie man aus der Übersterblichkeit Rückschlüsse auf die Dunkelziffer der Infektionen ziehen kann.

Zur Vermittlung der Datenkompetenz gehört auch, den wissenschaftlichen Umgang mit Un­sicher­heiten zu vermitteln. Für Wissenschaftler ist es ein zentraler Bestandteil ihrer Tätigkeit, zu prüfen, welche Konsequenzen eingehende Annahmen und bestehende Datenlücken auf ihre Resultate haben. Jedes wissenschaftliche Ergebnis ist fehlerbehaftet. Das Ziel ist nicht, diese vollständig auszumerzen, sondern stattdessen deren Größe und Einfluss zu verstehen. In der Öffentlichkeit gibt es hier noch einigen Vermittlungsbedarf, damit Unsicherheit nicht mit Unzuverlässigkeit verwechselt wird.

"Es reicht eben nicht, der Öffentlichkeit Zugang zu Daten zu gewähren – man muss sie auch erklären und einordnen können."

Gleichzeitig ist es aber auch Aufgabe des Wissenschaftsjournalismus hier, wenn nötig, kritisch nach­zubohren und anhand der wissenschaftsintern genutzten Qualitätskriterien gute von schlechter Wis­­senschaft unterscheiden zu können. Diese kritische Distanz zum Wissenschaftsbetrieb ist in Zei­ten emsiger PR-Arbeit von Forschungsinstituten unerlässlich, und einer der Gründe, warum eine noch so gute Wissenschaftskommunikation aus der Forschung heraus nie ausreichen wird. Damit verbunden ist die journalistische Fähigkeit, For­schungs­­­resultaten den nötigen Kontext zu verschaffen, ihre Relevanz einzuordnen, Verbindungen zu ande­ren Themengebieten aufzuspüren – auch das eine Fähigkeit, die in der höchst spezialisierten Forschung selbst oft zu kurz kommt.

Was die Herausforderung so schwierig macht, ist nicht zuletzt, dass die passenden Zugänge und Kom­­munikationswege extrem zielgruppenabhängig sind. Wo man etwa F.A.Z.-Print-Leserinnen ein hohes Maß an Detailinformationen und Komplexität zumuten kann, mag das für diejenigen Konsumenten von FAZ.NET-Nachrichten, die ihren Informationsbedarf schnell noch in der U-Bahn stillen, schon nicht mehr gelten. Das erfordert eine Vielfalt der Formate, Flexibilität und Kreativität.

Die Pandemie ist nicht vorbei, und die nächste große Herausforderung ist in Gestalt des Klimawandels schon lange bekannt. Die Notwendigkeit guten und kompetenten Wissenschaftsjournalismus ist unstrittig – nicht nur, um Fakten zu vermitteln, sondern auch, um diese mit Sinn zu unterfüttern.

Hosts des Podcasts F.A.Z. Wissen. Die Astrophysikerin und der Biologe sind Wissenschaftsredakteure im F.A.Z.-Ressort „Natur und Wissenschaft“.