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Die richtigen Fragen stellen

Wie ein Wirtschaftsteil angesichts von Krieg, Inflation und Energiekrise Vertrauen schafft.

Von Lisa Nienhaus

Wenn meine Informationen sich ändern, dann ändere ich meine Meinung. Was tun Sie, Sir?“ Das sagte berühmterweise der Ökonom John Maynard Keynes zu seinem Ökonomenkollegen Paul Samuelson. Der war irritiert gewesen, dass Keynes so oft seine Meinung geändert hatte  – und erzählte dieses Zitat später gern spöttisch weiter. Sympathien gewonnen hat damit allerdings eher Keynes. Der hat damit beschrieben, was es ausmacht, vorn dran zu sein in den Debatten um die Veränderungen dieser Welt. Man muss intellektuell beweglich bleiben, wenn man etwas herausfinden und erkennen will.

Das gilt auch für Journalisten. Nur vielleicht ein wenig anders: Wenn sich unsere Informationen ändern, dann ändern sich zuallererst unsere Fragen. Und diese neuen Fragen früh zu erkennen, sie zu stellen und zu beantworten, möglichst verständlich, möglichst zugänglich, unbedingt auch unterhaltsam, das ist in turbulenten Zeiten vielleicht die größte Herausforderung in diesem Beruf. Es ist aber auch die größte Freude für Journalisten. Wenn dies gelingt, hat es außerdem eine angenehme Wirkung auf diejenigen, für die man das alles tut: Die Leser bauen Vertrauen auf zu einer Zeitung. Sie begreifen diese Zeitung, die ihnen durch turbulente Zeiten hilft, als ihre Zeitung: ob sie nun in der App, auf Twitter, Instagram, auf Papier oder auf der Homepage lesen oder auf sie stoßen.

In den vergangenen wenigen Jahren war der Wirtschaftsjournalismus zweimal mit einer stark veränderten Welt konfrontiert. Erst die Pandemie mit ihren wirtschaftlichen Folgen von geschlossenen Grenzen, Geschäften und Fabriken über stockende Handelsströme bis zum Homeoffice. Dann die Inflation und der Krieg mit der Energiekrise, die mit ihm einherging.

Um es mit Keynes zu sagen: Eine Menge Informationen haben sich in sehr kurzer Zeit geändert.

Viele Menschen hat das verunsichert. Den SZ-Wirtschaftsteil hat die plötzliche höhere Verantwortung belebt, energetisiert, angetrieben. Seither geht es darum, für die Leser vorn dranzubleiben in Sachen Energie, Inflation und den irgendwann völlig unübersichtlichen Rettungspaketen. Die richtigen Fragen zu stellen: Kann ich mir das Heizen noch leisten? Wie spare ich Energie? Wen trifft die Inflation am härtesten? Wieso wurde sie so lange über­sehen? Was bringt eine Gaspreisbremse? Wer hat sie erfunden? Ist es gerecht, wenn von ihr auch Reiche profitieren? Und blickt überhaupt noch jemand durch, wer von den ganzen Hilfs­paketen wirklich profitiert?

Dafür gab es Dank der Leser. Und wachsendes Vertrauen. Das spürte man auch daran, dass ganze Abhandlungen voller Nachfragen bei den Redakteuren eintrafen.

Natürlich hat der SZ-Wirtschaftsteil nicht nur Fragen beantwortet, sondern auch die Geschichten erzählt, auf die die Redakteure und Redakteurinnen im Rahmen der Recherchen gestoßen sind: Über die Erfinderin der Gaspreisbremse, eine deutsche Ökonomin, die in Amerika lehrt. Über die einzige Frau, die es in der Rüstungsindustrie nach ganz oben geschafft hat. Über einen Makler, der wegen der Zins­wende Wohnungen in Toplage nicht mehr los­wird, die ihm zuvor aus den Händen gerissen wurden.

Der Wirtschaftsteil, dem es am besten gelingt, die neuen Fragen zu erkennen, der am hart­näckigsten recherchiert und sich nicht mit einfachen Antworten abspeisen lässt, dieser Wirtschaftsteil ist intellektuell führend im Land. Wenn ihm dann noch gelingt, die spannendsten Geschichten aus diesen Zeiten zu erzählen, dann ist er eine anregende Lektüre für Firmenlenker und Politiker, aber er ist vor allem der Wirtschaftsteil, dem seine Leser vertrauen und nach dem sie in turbulenten Zeiten greifen. Das ist das Ziel. Was tun Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen?

Seit Oktober 2022 Leiterin der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung.