Vertrauen ist gut, noch mehr Vertrauen ist besser
Vertrauen ist die wahrscheinlich am meisten unterschätzte Währung in Wirtschaft und Politik. Das zeigt sich in der aktuellen Krise – in der es dringend vertrauensbildende Maßnahmen braucht.
Wer in der Wirtschaft von „Vertrauen“ redet, läuft Gefahr, nicht ernst genommen zu werden. Geht es nicht vielmehr ums große Geld, Geschäfte und Deals? Ganz und gar nicht. Vertrauen ist die wahrscheinlich am meisten unterschätzte Währung im Geschäftsleben und der Wirtschaft insgesamt. Ohne Vertrauen in Recht und Ordnung wird kein Unternehmer einen Euro investieren. Ohne Vertrauen in die Seriosität eines Geschäftspartners oder eines Staates gibt es keinen Kredit. Ohne Vertrauen kann kein Kanzler regieren.
Die schlechte Nachricht lautet: Deutschland erlebt derzeit eine der größten Vertrauenskrisen seiner Geschichte. Die Unternehmen sind extrem verunsichert, der Zuspruch für die Demokratie schwindet. Dass zur selben Zeit die Wirtschaft kriselt, ist alles andere als Zufall. Die Stagnation ist das Spiegelbild des fehlenden Zutrauens in Politik und wirtschaftliche Perspektiven.
Der Mangel an Vertrauen lässt sich messen. Denn wenn das Vertrauen schwindet, steigt die Unsicherheit. Der „Economic Policy Uncertainty-Index“ erfasst für verschiedene Länder, wie groß die Verunsicherung über die Wirtschaftspolitik und die wirtschaftliche Entwicklung ist. Für Deutschland lag der Wert zuletzt oberhalb von 900. Zum Vergleich: Vor der Pandemie lag er unterhalb von 200. In fast allen Industrieländern, inklusive der Vereinigten Staaten mit dem frisch angetretenen Präsidenten Donald Trump, bewegt sich der Index auf dem niedrigen Vorkrisenniveau. Auch ein Unsicherheitsindex, den das Münchner Ifo-Institut unter 9.000 deutschen Unternehmen ermittelt, zeigte zuletzt nach oben.
Warum das wirtschaftlich ein Problem ist, erforschen Ökonomen seit Jahrzehnten. Ihre Erkenntnisse gehen weit hinaus über das dem Wirtschaftswunder-Kanzler Ludwig Erhard zugeordnete Zitat: „Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie“.
Erstens investieren Unternehmen nicht in neue Maschinen, Fabriken und Fachleute, wenn sie nicht wissen, welche Rahmenbedingungen (Steuern, Subventionen, Gesetze) künftig gelten werden. In Deutschland ist das in den Statistiken abzulesen: Im dritten Quartal 2024, das letzte, zu dem detaillierte Daten vorliegen, gingen die sogenannten Ausrüstungsinvestitionen um fast sechs Prozent verglichen zum Vorjahreszeitraum zurück. Ein anschauliches Beispiel für die Negativdynamik ist im Privatbereich zu sehen: Nachdem die Ampelkoalition unter Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Kaufprämien für Elektroautos kurzfristig strich, brachen die Verkaufszahlen in diesem Segment ein.
Solche kurzfristigen Rückschläge wären verschmerzbarer, wenn sie nicht lange nachwirken würden. Denn, und das ist das zweite Problem, wenn verunsicherte Unternehmen heute nicht in Maschinen, Forschung und Fabriken investieren, können sie damit morgen auch weniger erwirtschaften. Unsicherheit verhindert eine „optimale Kapitalakkumulation“ sagen die Ökonomen. Gebremst werden so die langfristigen Wachstumsaussichten der Volkswirtschaft. Und die sind im alternden Deutschland im internationalen Vergleich ohnehin gering.
Drittens können Staaten nur an Wohlstand zulegen, wenn die Menschen darauf vertrauen können, dass sie von der Politik gehört werden und sie am Wirtschaftswachstum hinreichend teilhaben. Doch das funktioniert nicht mehr so, wie es sein müsste, kritisiert der neue Wirtschaftsnobelpreisträger Daron Acemoğlu. Der F.A.Z. sagte er im Interview: „Seit mehreren Jahrzehnten löst die Demokratie nicht wirklich ein, was sie verspricht.“ In Ländern wie Deutschland und Frankreich sehe er „die Geburtsschmerzen eines neuen Modells, und wir wissen noch nicht, was das neue Modell sein wird.“
Es steht also eine Menge auf dem Spiel – wirtschaftlich wie politisch. Ohne die richtigen vertrauensbildenden Maßnahmen drohen Dauerrezession und noch weniger Zuspruch für die Demokratie. Für die künftige Bundesregierung sollte der Auftrag daher klar sein: weniger Beschäftigung mit sich selbst, weniger sprunghafte Politik, weniger kleinteilige Regulierung und Bürokratie. Dafür mehr Bürgernähe, verlässlichere Reformen und mehr Vertrauen in Marktkräfte. Denn auch dieser letzte Punkt ist eine Vertrauensfrage: In zentralen Bereichen wie dem Klimaschutz ist es das richtige Rezept, Ziele festzulegen und diese dann mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zu erreichen. Ein steigender Preis für Emissionen ist dabei das Mittel der Wahl, verbunden mit einem sozialen Ausgleich für alle, die ihn zahlen müssen.
Wenn die künftige Regierung diese Dinge, die in einer sozialen Marktwirtschaft doch eigentlich selbstverständlich sein sollten, beherzigt, kann das Vertrauen Stück für Stück zurückkehren. Die Bürger sind dabei nicht anteilslos. Sie müssen der künftigen Regierung zwar keinen Vertrauensvorschuss gewähren, wohl aber eine Chance, sich zu bewähren. Mit Schwarzmalerei, dem Sound des vergangenen Jahres, ist niemand geholfen. Ein Selbstläufer wird die Aufgabe für die künftige Regierung unter diesen Umständen ganz sicher nicht. Zumal sie sich erst einmal – auch das eine Erkenntnis der Ampeljahre – untereinander vertrauen muss.

Seit 2018 bei der F.A.Z. verantwortlicher Redakteur für Wirtschaftsberichterstattung. Davor als Redakteur in der F.A.Z.-Wirtschaftsredaktion unter anderem zuständig für die Konjunktur- und Energieberichterstattung