Donald Trumps Wahlsieg war nur ein Symptom. Wie gewaltig der Zeitenwandel ist, der sich gerade vollzieht, erkennt man an den Verschiebungen der Deutungshoheiten in den Medien. Das ist nicht nur eine Frage der Technologien. Printmedien, Radio- und Fernsehsender haben den digitalen Raum gut in den Griff bekommen. Nach ersten Einbrüchen haben sich Abo- und Zugriffszahlen in den vergangenen Jahren stabilisiert. Das Geld ist weniger, aber die Leserschaften sind größer geworden. Und doch zeichnet sich ein Wandel ab, der all die Medien zum Handeln zwingen wird, die von der digitalen Welt gerne als „legacy media“ belächelt werden. Das klingt elegant, meint aber nichts anderes als veraltete Medien.
Die Zukunft, das ist längst eine Binse, sind soziale Netzwerke, Podcasts, Newsletter und bald auch KI-Assistenten und -Suchmaschinen. Das sind Anwendungen, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz auf jede Frage eine Antwort finden. Wer also morgens wissen will, wie das Wetter wird, sich die Aktienlandschaft und die Geopolitik entwickeln, muss nicht lange suchen, hören oder blättern.
Die Bequemlichkeit des digitalen Raums ist eine gewaltige Schubkraft für diese neuen Medien. Aber da kommt noch eine Dimension dazu, die sich eher mit der Neurologie als der Kommunikationswissenschaft erklären lässt. Traditionelle Medien richten sich in erster Linie an die linke Hirnhälfte ihres Publikums. Logik, Vernunft und Sprache sind dort zu Hause. Soziale und digitale Medien zählen jedoch keine Aboverkäufe, sondern Aufmerksamkeit in Echtzeit. Das funktioniert über die rechte Hirnhälfte sehr viel besser. Dort sind Reflexe, Instinkte und Emotionen zu Hause. Die reagieren in Sekundenbruchteilen. Das allerdings ist auch der Grund dafür, dass negative Emotionen wie Hass und Angst, dass Lügen und Falschnachrichten sich dort sehr viel schneller verbreiten als Argumente, Fakten und Freundlichkeiten.
Der Medienforscher am Massachusetts Institute of Technology Sinan Aral hat das erforscht. Demnach verbreiten sich in sozialen Netzwerken Lügen und Hass sechs Mal so schnell und erreichen bis zu tausend Mal mehr Menschen als Wahrheiten und gute Laune. Dafür gibt es einen einfachen Grund. Lügen und Hass liefern Überraschung, Unterhaltung und Empörung. Der Mensch funktioniert da immer noch wie zu seinen Anfängen. Gefahr und Aggression nimmt sein Hirn sehr viel ernster. In der Savanne war es schon immer sehr viel wichtiger, ein nahendes Löwenrudel rechtzeitig zu bemerken, als die Schönheit eines Sonnenuntergangs zu besingen. Der Evolutionsforscher Edward O. Wilson beschrieb das mal mit den Worten: „Das eigentliche Problem der Menschheit ist das folgende: Wir haben steinzeitliche Emotionen, mittelalterliche Institutionen und gottgleiche Technologie. Das ist furchtbar gefährlich, und jetzt nähert sich das einem kritischen Kipppunkt.“
2012 veröffentlichte Wilson diesen Satz in seinem Buch „Die soziale Eroberung der Erde“. Donald Trump war damals noch ein großspuriger Bauunternehmer in New York und soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter wurden noch dafür belächelt, dass Menschen dort Fotos von ihrem Frühstück und ihren Katzen zeigten. Der kritische Punkt ist mit der Amtseinweihung von Donald Trump erreicht. Denn eines seiner Erfolgsrezepte bleibt die Aushöhlung der Wahrheit. Die Chefs der großen Digitalkonzerne haben das längst begriffen. Elon Musk hatte nach seiner Übernahme von Twitter die Faktenprüfung rigoros abgebaut. Mark Zuckerberg kündigte die Einstellung von Faktenchecks auf seinen Plattformen Facebook, Instagram und Whatsapp kurz vor Trumps Amtsantritt im Januar 2025 an.
Nun sind die Traditionsmedien keineswegs Institutionen des Mittelalters, sie sind in ihrer heutigen Form allerdings Institutionen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als sogenannte vierte Säule des Rechtsstaates war ihre wichtigste Aufgabe immer der Journalismus; das Geldverdienen, Unterhalten und Aufmerksamkeitserzeugen waren nur die Mittel zum Zweck dieser Aufgabe.
In den USA hat sich der Medienwandel schon vollzogen. Über die Hälfte aller Menschen dort bezieht ihre Nachrichten und Informationen aus sozialen Netzwerken wie Facebook und Tiktok, aus Podcasts und Newslettern. Für die aber gelten die Regeln des Journalismus meist nur, wenn sie Ableger etablierter Zeitungen und Sender sind.
Auf die aber wartet im Jahr 2025 eine neue gewaltige Aufgabe. Nachdem sie die Erosion ihrer Geschäftsmodelle durch die digitalen Technologien überlebt haben, müssen sie nun um die Deutungshoheit kämpfen. Dabei geht es um nicht weniger als um das Erbe der Aufklärung. Es geht um die Frage, ob sich Wahrheit gegen Lüge und Lärm durchsetzen kann. Für Demokratie, Rechtsstaat und Wissenschaft ist das eine Frage des Überlebens.

Seit 2020 Leitender Redakteur im Feuilleton und vielfach ausgezeichneter Autor der SZ. Zuvor arbeitete er viele Jahre als Journalist in New York und war ein Redakteur der ersten Stunde bei der Zeitschrift Tempo