Er will mit uns spielen
Donald Trump regiert anders, kommuniziert anders und lügt anders. Da müssen wir einen kühlen Kopf bewahren.
Donald Trump hatte sein Amt noch gar nicht angetreten, da erbat ein Auslandskorrespondent Weisung aus der Zentrale: Wie gehen wir mit den Großbuchstaben um? Gute Frage: Macht es für den deutschen Leser einen Unterschied, ob Trump den Islamisten im Nahen Osten androht, ihnen „die Hölle heißzumachen“, oder ob er ihnen sogar „DIE HÖLLE HEISS MACHEN“ will? Ob er den Nachbarn Mexiko und Kanada ankündigt, Zölle auf „alle“ oder auf „ALLE“ Einfuhren zu erheben? Ob er Kritik an irreführenden Aussagen mit einem „Trump hatte mit allem recht“ pariert, oder ob er auf seiner Plattform „Truth Social“ regelrecht brüllt: „TRUMP HATTE MIT ALLEM RECHT“?
Auf solche Probleme kann ein Nachrichtenchef noch ganz leicht antworten: Je nach Lage! Dahinter liegt aber eine viel kompliziertere Frage: Wie geht eine Redaktion um mit einem amerikanischen Präsidenten, der anders kommuniziert, anders lügt und anders mit den Medien spielt als alle seine Vorgänger?
Die amerikanische Journalistin Salena Zito, die 2016 in Trumps erstem Wahlkampf aus dem ländlichen Amerika berichtete, prägte damals die treffende Formulierung, dass „die Presse Trump wörtlich, aber nicht ernst nimmt“, während Trumps Anhänger „ihn ernst nehmen, aber nicht wörtlich“. Darin steckt bis heute eine wichtige Mahnung. Aber was folgt daraus für die Berichterstattung? Kann es eine Lösung sein, selbst über krasse Drohungen, Beleidigungen, Falschbehauptungen und Ankündigungen des amerikanischen Präsidenten und Oberbefehlshabers nicht mehr zu berichten, weil sich so viel davon später als heiße Luft erweist? Müssen wir alles viel strenger filtern?
In Zeiten geringen Vertrauens in die Presse klingt das nicht verheißungsvoll. Deutsche Medien müssen sich zwar nicht schämen, wenn sie auch berücksichtigen, ob eine Aussage des US-Präsidenten jenseits der Vereinigten Staaten relevant ist. Das heißt aber nicht, dass wir uns völlig auf die Außen- und Handelspolitik konzentrieren sollten. Denn auch wenn sich das gesellschaftliche Klima in den Vereinigten Staaten aufheizt, hat das in vielerlei Hinsicht Folgen „für uns“.
Also: im Zweifel lieber melden als verschweigen. Wobei es oft nicht leicht ist, Trump wörtlich zu zitieren. Denn wenn der Präsident frei spricht, dann ist das selten „Klartext“. Im Gegenteil: Andeutungen werden aneinandergereiht, die man oft nur verstehen kann, wenn man sich in derselben medialen Echokammer wie Trump aufhält. Dramatisch scheiterte unser Experiment, das vierzigseitige Transkript einer langen Trump-Kundgebung von einer ansonsten recht zuverlässig funktionierenden KI ins Deutsche übersetzen zu lassen, auf dass sich der FAZ.NET-Leser selbst ein Bild machen könne. Das Sprachmodell war von der Sinnlosigkeit und grammatischen Unterversorgung vieler Trump-Sätze so überfordert, dass es logischere Aussagen herbeihalluzinierte – die Trump nie getätigt hatte. Amerikanische Zeitungen können seine Äußerungen einfach Silbe für Silbe wiedergeben und die Interpretation ihren Lesern überlassen. Wer Trump ins Deutsche übersetzt, muss aber oft selbst interpretieren.
Da ist der Framing-Vorwurf nie weit. Beim Weglassen wiederum sind Zensurvorwürfe programmiert. Springen wir aber über jedes Stöckchen, das der Narziss im Weißen Haus uns hinhält, setzen wir uns dem Hysterie-Vorwurf aus. In Amerika war der wirkmächtig: Der Unmut über „die Medien“, die Trump keinerlei Respekt gezollt hätten, ist der Kitt, der seine anfangs überaus brüchige Wählerkoalition zusammenhält. Den Medien werfen die Anhänger des Präsidenten „Trump Derangement Syndrome“ vor, weil jederzeit alles skandalisiert werde.
Trump und seine Leute jammern darüber, aber in Wirklichkeit lieben sie es, die Presse zu triggern. Großbuchstaben oder nicht: Die mal unterhaltsamen, mal bösen Einlassungen des Präsidenten sollen uns ermüden. Wenn Journalisten jeder Sau hinterherrennen, die Trump an einem normalen Tag durchs globale Dorf treibt, geraten sie bald außer Atem. Dann verlieren sie womöglich die großen Entwicklungen aus den Augen: Gelingt es Trump, demokratische Kontrollinstanzen zu schleifen? Verrät der vermeintliche Arbeiterführer die einfachen Leute, um einer neuen Oligarchie zu gefallen?
Die Ermüdung ist aber zugleich unser Freund. Selbst Trump fallen knapp zehn Jahre nach seiner Rolltreppenfahrt in die große Politik nicht mehr so viele Tabubrüche ein, dass wir in Schnappatmung gerieten. Wir bewahren einen kühlen Kopf, unterscheiden Peinlichkeiten von Paradigmenwechseln, berichten sachlich und ordnen ein: Was bezweckt Trump mit einem Vorstoß? Wie unterscheidet der sich von Positionen früherer Regierungen? Welche institutionellen oder politischen Hindernisse stehen dem Vorhaben entgegen?
Dass Trump ein anderes Amtsverständnis hat als seine Vorgänger und völlig anders mit der Öffentlichkeit umgeht, ist keine Breaking News mehr. Aber es bleibt relevant. Der Präsident der Vereinigten Staaten ist ein mächtiger Mann. Was er sagt und tut, sollten wir nicht ignorieren – auch, wenn es nervt.

Seit 2021 Nachrichtenchef der F.A.Z. und Leiter des Ressorts Politik bei FAZ.NET. Als Korrespondent in Washington von 2013 bis 2018 beobachtete er den Siegeszug des Trumpismus. Bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seit 2004.