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Dunkles erhellen und Dunkel­männer beleuchten

Der investigative Journalismus ist heute ein Markenzeichen der SZ. Wer in ihn investiert, erntet Exklusivität und Relevanz.

Von Wolfgang Krach

In der Redaktion haben wir vor einigen Jahren umgebaut. Wer das Vergnügen hat, für so einen Umbau oder den Umzug von Kolleginnen und Kollegen verantwortlich zu sein, kann ein paar interessante Erfahrungen machen. Etwa die, dass Kollegen in der Redaktionskonferenz davon reden, dass man jetzt, wo umgebaut werde, doch endlich mehr Arbeits- und Begegnungsmöglichkeiten in großen, interessant gestalteten Räumen schaffen und endlich einmal etwas architektonisch völlig Neues ausprobieren müsse – um dann wenig später unter vier Augen zu erläutern, warum sie selbst aber weiterhin ein Einzelzimmer benötigen. Oder die Erfahrung, dass Kollegen fragen, warum denn ihr Ressort nicht mehr Platz bekomme, obwohl es den ganz dringend brauche, aber das Ressort „Investigative Recherche“ schon – und das sei doch bereits bisher gut bedient.

Es stimmt, die Investigative Recherche ist in der Süddeutschen Zeitung (SZ) immer mehr gewachsen. Sie ist gewachsen an Räumen, aber auch an Bedeutung im Blatt. Für ein Ressort, das vergangenes Jahr seinen 15. Geburtstag gefeiert und damit erst weniger als ein Fünftel der bald 80 Jahre währenden Geschichte der Zeitung miterlebt hat, ist es nicht nur schon etabliert, sondern sehr bedeutsam.

Natürlich haben Journalisten immer recherchiert, und investigativ zu sein, gehört zum Beruf. „Recherchieren“ heißt schließlich nichts anderes als „erforschen“, „nachspüren“, „ermitteln“, und „in­ves­tigativ“ bedeutet „aufdeckend“, „enthüllend“. So könnte man „investigative Recherche“ als „enthüllende Ermittlung“ bezeichnen – oder gemäß dem Marken-Motto der SZ („Mehr Licht“) als „erhellende Ermittlung“. Und ein Journalist, der nichts enthüllen, entdecken, ermitteln oder erhellen will, ist eigentlich kein Journalist.

Trotzdem hat es mit der „investigativen Recherche“ eine besondere Bewandtnis. Eine Redaktion, die investigative Recherche fördert, fordert und in einem eigenen Ressort bündelt, ermöglicht den Kolleginnen und Kollegen dort, sich ausschließlich auf diese Form von Journalismus zu konzentrieren. Sie sagt ihren eigenen Leuten: Wir wollen, dass ihr Dingen auf den Grund geht, dass ihr genau hinschaut, wo euch etwas komisch vorkommt. Wir wollen, dass ihr euch nicht abspeisen lasst mit dem, was euch Öffentlichkeitsarbeiter hinwerfen, dass ihr euch Themen sucht, von denen ihr glaubt, die kommen zu kurz. Wir wollen, dass ihr Hinweisen auf Dunkelmänner, krumme Geschäfte und Machenschaften nachgeht, diese Hinweise nicht im Ablagestapel verschwinden lasst oder verschwinden lassen müsst, sondern Relevantes zutage fördert. 

Wer investigative Recherche auf diese Weise organisiert, muss den Kolleginnen und Kollegen dort im Ressort Zeit geben und Geld. Er muss ihnen das Vertrauen schenken, dass sie mit dieser Zeit und dem Geld Vernünftiges anstellen, auch wenn zum Beginn einer Recherche nicht immer klar ist, ob am Ende etwas herauskommt. Und er muss den Kollegen den Rücken stärken, wenn sie für eine richtige Geschichte angegriffen werden – verbal oder juristisch – von denjenigen, denen diese Geschichte nicht passt.

Früher war all das fast ausschließlich ein Monopol der Magazine. Tageszeitungen enthüllten wenig, sie beschränkten sich im Wesentlichen darauf, das zu berichten und zu kommentieren, was in der Welt passierte. Das hat sich völlig verändert.
Was früher für eine Zeitung wie die SZ die Aktualität war, ist heute, für das gedruckte Blatt ebenso wie für die Homepage SZ.de, die Exklusivität. Natürlich müssen wir weiterhin aktuell sein – und wir sind es, dank Online- und Digital-Ausgabe, mehr denn je. Wenn der Bundeskanzler seinen Finanz­minister um 21 Uhr rauswirft oder ein ehemaliger US-Präsident am späten Abend im Alter von 100 Jahren stirbt, dann findet die SZ-Leserin das entweder noch im gedruckten Blatt oder in der digitalen Ausgabe auf dem iPad – und, natürlich, online. Aber der wesentliche Unterschied zu anderen Zeitungen ist, dass wir besonders viele Geschichten exklusiv haben, dass man die SZ lesen muss, um etwas zu erfahren, was zu diesem Zeitpunkt nirgendwo sonst steht, aber später, weil bedeutsam, auch anderswo stehen wird. 

Kurzum: Wer ins Investigative investiert, erntet Relevanz. Das war so, als wir vor mehr als zehn Jahren die Betrügereien des ADAC beim „Gelben Engel“ für das angebliche „Lieblingsauto der Deutschen“ und andere Mauscheleien dort aufgedeckt haben, in deren Folge der Vereinspräsident, sein Geschäftsführer und der Kommunikationschef ihre Posten verloren. Das war so bei den „Panama Papers“, als wir am 3. April 2016 nach mehr als einem Jahr Recherche zusammen mit 400 Journalisten in 80 Ländern 11,5 Millionen Dokumente ausgewertet hatten und ein riesiges Netz von Briefkastenfirmen in Steueroasen auffliegen ließen, getarnt durch eine Kanzlei in Panama. Eine Recherche, die bei der SZ begann, vom International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) in Washington D.C. koordiniert und später mit einem Pulitzer-Preis gewürdigt wurde, der höchsten Auszeichnung im US-Journalismus. Und das war so, als wir nach dem Zusammenbruch der Ampel-Koalition Ende vergangenen Jahres aufzeigen konnten, wie akribisch die FDP unter ihrem Parteichef Christian Lindner das Ende des Bündnisses mit SPD und Grünen vorbereitet, herbeigesehnt und offenkundig auch provoziert hatte.

Manche dieser Recherchen waren oder sind so aufwendig, dass wir uns dafür mit anderen zusammentun. Mal mit anderen Medien, auch im Ausland, und immer wieder mit Kollegen von NDR und WDR.

Investigativer Journalismus fördert zutage, was Menschen, Firmen oder Behörden gerne verborgen halten würden. Er spürt Ungereimtes, Ungerechtes und Unverfrorenes auf. Er ist mühsam und kostet Zeit. Er nervt diejenigen, denen investigative Journalisten nachsteigen, und manchmal sogar diejenigen, die ihn betreiben, etwa wenn eine Recherche nicht recht vorankommt.

Diese Form des Journalismus werden wir weiterhin pflegen. Sie gehört längst zu unserer Identität. Sie ist ein Merkmal, in dem sich die Süddeutsche Zeitung von anderen unterscheidet und auch künftig unterscheiden wird.

Seit 2015 Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, seit 2020 gemeinsam mit Judith Wittwer. Wechselte 2003 vom „Spiegel“ zur SZ, um dort, unter anderem, die Investigative Recherche aufzubauen