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Spinner, Querulanten, Verschwörungsfans

Muss man wirklich jeden abholen, wo er steht?

Von Friederike Haupt

Zeitungen haben nicht nur viele Leser, sondern vor allem viele verschiedene. Das fällt mir vor allem dann auf, wenn ich auf ein und denselben Artikel ganz widersprüchliche Reaktionen erhalte. Neulich war es mal wieder soweit: Ein Leser, mit dem ich schon öfter Mails ausgetauscht hatte, schrieb mir, das Thema meines Artikels habe ihn sehr interessiert, der Text hätte seiner Meinung nach noch ausführlicher ausfallen können. Eine Freundin fand ihn eher zu lang, aber sie hat auch ein Kleinkind, das alle fünf Minuten etwas will. Auf Twitter lobte jemand den Text, und ein Politiker, den ich ein paar Tage später traf, zählte auf, was seiner Meinung nach noch viel wichtiger gewesen sei als das, was ich wichtig gefunden hatte. Und dann war da noch die übergroße Mehrheit der Leser, die einfach nur lasen.

Schon darum kann man nicht jeden abholen, wo er steht. Die Zeitungsleser stehen beinahe überall. Aber noch aus einem anderen Grund: Die Leser müssen gar nicht abgeholt werden. Sie sind keine Kinder, die an die Hand genommen werden wollen. Sie sind erwachsen, mündig, selbstständig und können selbst entscheiden, wo sie finden, was sie interessiert. Und sie wissen, was sie bekommen, wenn sie sich für die F.A.Z. entscheiden: eine Zeitung mit dem Anspruch, freies und selbstbestimmtes Denken zu fördern. Nicht umsonst ist das Motto dieser Zeitung: Freiheit beginnt im Kopf.

Und diese Freiheit endet nicht dort, wo die Artikel beginnen, seien es sorgsam recherchierte Nachrichten, genaue Analysen, kluge Kommentare, spannende Reportagen oder Unterhaltsames wie Kolumnen. Alle diese Texte wollen ihre Leser nicht abholen, sondern sie in ihrer eigenen geistigen Beweglichkeit unterstützen: bei der selbstbestimmten Meinungsbildung, bei der Überprüfung ihrer Haltung und bei der Formu­lierung eigener Positionen.

Aber das macht die F.A.Z. nicht beliebig. Die Zeitung weiß, für was sie einsteht: für die Freiheit des Einzelnen in einer offenen Gesellschaft, für soziale Marktwirtschaft, für die Werte, die das Grundgesetz schützt. Dazu gehört, auch kon­tro­verse Standpunkte ernst zu nehmen. In Zeiten, in denen viele Debatten zu Glaubenskriegen stilisiert werden, ist es wichtiger denn je, Fakten zu nennen. Vielen gilt schon als Querulant, wer gegen Windkraft demonstriert; andere beschimpfen jene als Spinner, die gegen Atomkraft sind. Doch sie alle finden in der F.A.Z. Informationen, die ihnen helfen, das Für und Wider ihrer Position abzuwägen. Man könnte sagen: Nicht die Zeitung holt die Leser ab, sondern diese holen sich in der Zeitung ab, was sie brauchen können.

Einige Menschen werden wenig finden, was sie für brauchbar halten. Sogenannte Reichsbürger etwa, die glauben, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort und es gebe keine gültige Verfassung. Sie werden jeden Artikel, der den Bundeskanzler ernst nimmt, nicht ernst nehmen. Und wer glaubt, sich auf die Straße zu kleben sei der wirksamste Einsatz für mehr Klimaschutz, ist womöglich enttäuscht über die Vielzahl der Texte, die politische, gesellschaftliche, unternehmerische Anstrengungen auf diesem Gebiet für beachtenswert halten.

Das Wesen von Freiheit ist, sich entscheiden zu können. Die Leser der F.A.Z. entscheiden sich immer neu für die Zeitung. Die meisten von ihnen werden sich auch einmal über etwas ärgern – wie sollte es auch anders sein, man ärgert sich gelegentlich ja sogar über die Quellen größter Freude im Leben, den Ehepartner, die Kinder, den liebsten Fußballverein. Trotzdem: Die vielen Artikel, die jeden Tag in der F.A.Z. erscheinen, sind ein Angebot. Jeder kann sich nehmen, was er braucht – genau da, wo er steht.

Friederike Haupt

Seit März 2023 ist sie Korrespondentin in der Parlamentsredaktion der F.A.Z. in Berlin. Aus der Hauptstadt berichtete sie zuvor für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, für die sie außerdem von 2012 bis 2021 politische Redakteurin in Frankfurt war.